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«Wir hätten früher reagieren müssen!»

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Die Untersuchung des Direktors des Deutschen Nationalmuseums, Raphael Gross, zur Provenienz der Bührle-Bilder hält fest: Die Werke sind weit NS-kontaminierter als befürchtet. Stadtpräsidentin Corine Mauch spricht im Interview über Fehler und Versäumnisse.

Zürich subventioniert das Kunsthaus jährlich mit 12,7 Millionen Franken und finanziert damit auch die Sammlung Bührle am Haus. Nun weiss man seit kurzem, zwei Drittel der Bilder stehen unter dem Verdacht, NS-belastet zu sein. Trifft Sie das vernichtende Ergebnis?

Corine Mauch: Stadt, Kanton und Zürcher Kunstgesellschaft haben die Studie gemeinsam in Auftrag gegeben, und wir waren sehr gespannt auf die Ergebnisse. Sie sind sehr interessant. Der Bericht von Raphael Gross kommt zum Schluss, dass die bisherige von der Stiftung erarbeitete Forschung den heutigen Ansprüchen, also denen des 2023 beschlossenen Subventionsvertrags der Stadt mit der Zürcher Kunstgesellschaft und denen der neuen Provenienzstrategie des Kunsthauses, nicht genügt. Das wollen wir nun angehen und gemeinsam die nächsten Schritte tun.

Kritiker und selbst Ihre Partei, die SP, haben seit langem darauf hingewiesen, dass die hauseigenen Bührle-Abklärungen befangen seien. Wäre es nicht die Aufgabe der Stadt gewesen, hier genauer hinzusehen?

Ich habe mich lange auf den Standpunkt gestellt, den mir Fachleute vermittelt hatten: Im Vergleich mit anderen Sammlungen sei die Sammlung Bührle eine der am besten erforschten Sammlungen weltweit. Jetzt wissen wir: Sie genügt unseren heutigen, aktuellen Standards nicht.

Herr Gross meint sogar in seinem Bericht – der Sie 700’000 Franken kostete –, die Forschung der Bührle-Stiftung sei hinsichtlich Methodik wissenschaftlich nicht belastbar.

Das hat er so gesagt? Den Passus müssen Sie mir zeigen!

Gerne, wir zitieren: «Die Untersuchungskriterien, so scheint es, sind nicht als forschungsleitende Unterscheidungsmerkmale systematisch entwickelt worden, sondern nachträglich gebildet.»

Da zitieren Sie jetzt aber verkürzt und nicht ganz korrekt.

Sie können den Satz Wort für Wort so nachlesen.

Der Bericht ist allgemein, und auch hier, sehr differenziert. Aber ich bin Stadtpräsidentin und keine Provenienzforscherin. Auf dieser Ebene können wir hier nicht diskutieren. Es geht doch darum, dass wir aufgrund von Kritik jetzt die Sammlung überprüfen liessen.

Sie liessen sie allerdings erst überprüfen, nachdem der Leihvertrag bereits unterschrieben und den Bührle-Erben zugesichert worden war, die Sammlung würde als Prunkstück des Neubaus ausgestellt werden. Weshalb überprüften Sie die Herkunft der Bilder nicht früher, vor der Abstimmung über Bau und dem Einzug der Bilder?

Den Leihvertrag habe ich nicht unterzeichnet, die Stadt ist nicht Vertragspartnerin. Aber richtig ist: Diesen mittlerweile ersetzten Vertrag hätte man schon damals seitens Stadt aus mehreren Gründen deutlich kritischer bewerten müssen. Heute ist es für mich entscheidend, dass der Wille herrscht, die Debatte und die Provenienzforschung weiterzutreiben. Mir ist es wichtig, dass wir uns bewusst sind, dass der Bericht explizit aus heutiger Perspektive zu diesem Schluss kommt. Wie bei allen grossen sozialen Veränderungen ändert sich der gesellschaftliche Blick auch auf diese Thematik laufend.

Ändert sich denn auch die Dialogbereitschaft der Bührle-Erben zum Positiven? Als kompromissbereit kannte man sie in der Vergangenheit nicht.

Die Zürcher Kunstgesellschaft hat von der Eigentümerin der geliehenen Werke, der Stiftung Sammlung Bührle, die Bereitschaft signalisiert erhalten, weitere Gespräche auf der Basis der neuen Erkenntnisse zu führen. Das begrüsse ich sehr.

Die SP-Fraktion des Zürcher Gemeinderats forderte vor einer Woche, dass auch über die Rückgabe der Sammlung «ohne Tabu» diskutiert werden muss.

Natürlich kann man das diskutieren. Ich habe dazu eine sehr klare Meinung: Ich bin überzeugt, die Debatte um die Geschichte dieser Sammlung, um die Rolle der Schweiz im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg, wäre in den letzten Jahren nie so virulent geführt worden, wenn die Bilder nicht in einem öffentlich subventionierten Museum zu sehen wären. Die Öffentlichkeit soll diese Werke sehen können, das sagt auch Raphael Gross. Die Bilder führen dazu, dass wir uns als Zürich und Schweiz vermehrt mit den Verstrickungen in der NS-Geschichte auseinandersetzen müssen. Die Person Emil Bührle ist ein Kristallisationspunkt: Er hat die Waffen mit dem Segen des Bundesrates an die Achsenmächte geliefert. Mit dem Geld, das er verdiente, baute er seine Sammlung auf, da es auf dem Markt NS-bedingt viele Werke aus jüdischer Hand gab.

Wieso kann eine linke Stadtregierung mit ebendiesem kritischen Wissen um Zusammenhänge das Thema Bührle so lange beiseiteschieben?

Ich kam 2009 ins Amt, als der Neubau bereits aufgegleist war und die Zusicherung, die Bilder im kommenden Chipperfield-Bau auszustellen, bereits ausgesprochen war. Wichtig ist, dass wir heute an einem ganz anderen Punkt stehen. Wir haben einen neuen Subventionsvertrag, der hohe Standards setzt. Es gibt einen neuen Leihvertrag. Wir haben eine neue Präsentation der Werke im Kunsthaus. Und wir haben diese Überprüfung von Herrn Gross.

Es war bekanntermassen das Lebensthema von Christoph Becker, 22 Jahre lang Direktor des Museums, die Bührle-Bilder an sein Haus zu holen.

Das weiss ich nicht. Aber ja, er hatte die Gespräche mit der Tochter von Emil Bührle, Hortense Anda-Bührle, geführt. Für mich stellte sich die Frage, finde ich das richtig? Und meine Antwort war «Ja». Wir müssen uns mit unserer Geschichte konfrontieren. Doch ich sage im Rückblick ganz klar: Wir hätten früher reagieren müssen! Die Stadt, der Kanton, die Kunstgesellschaft, die Schweiz, ich, wir alle!

Ihr damaliges «Ja» könnte zur Folge haben, dass die Stadt auf den Kosten der weiteren Provenienzforschung sitzen bleibt, falls die Bührle-Erben als Eigentümer sich weigern, sie zu berappen. Diesem Deal haben Sie 2023 im neuen Leihvertrag zugestimmt.

Das ist alles noch völlig offen und Gegenstand von Gesprächen. Raphael Gross deutet in seinem Bericht an, dass die Erzählung der Geschichte Bührles und der damit verbundenen Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg an einem gewissen Punkt die Zuständigkeit des Kunsthauses übersteige. Das muss auch in Kooperation mit anderen Museen erfolgen. Das finde ich unglaublich wichtig. Es geht nicht nur um die Bilder, es geht um viel, viel mehr.

Um einiges mehr geht es auch am Kunsthaus. Es schreibt ein Defizit. Der Betrieb des Neubaus ist massiv teurer als kalkuliert. Als Vertreterin der Stadt sitzen Sie im Vorstand und können uns sagen: Wie kam es zu dieser Fehlleistung?

Das fragen wir uns selbstverständlich auch! Aber das Kunsthaus kann das aktuelle Defizit differenziert erklären. Die Stadt erwartet nun, dass es aufzeigt, wie es die finanzielle Situation stabilisieren will, um bis 2027 wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Ihre Verantwortung für das Defizit mag nur implizit sein. Explizit müsste die Stadt Zürich aber Verantwortung übernehmen bezüglich der jüdischen Menschen, deren Notlage von Bührle weit mehr ausgenutzt wurde als bisher bekannt. Was tun Sie diesbezüglich?

Die Sammlung Bührle ist Teil unser aller Geschichte, Teil der Schweizer Geschichte und Teil der jüdischen Geschichte Europas. Es geht um Erinnerungskultur, wer erzählt welche Geschichte. Die Stadt erarbeitet eine «Strategie Erinnerungskultur», die Ende nächstes Jahr vorliegen soll. Betreffend jüdische Geschichte sehen wir uns in der Pflicht, sicher auch in Absprache mit anderen Akteuren, zum Beispiel Museen. Wir fordern zudem vom Bund, dass die Nationale Kommission zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern sehr schnell eine Rolle übernehmen wird.

Hätten Sie 2012 vor der Abstimmung über den Chipperfield-Bau gewusst, was Sie heute wissen – Sie haben am Haus mangelhaft abgeklärte NS-Bilder, die Betriebskosten laufen aus dem Ruder –, hätten Sie dann zur Vorlage auch «Ja» gesagt?

Auf jeden Fall, sogar viel überzeugter als damals. Natürlich, ich hätte im Antrag ans Parlament andere Kosten eingesetzt, wenn wir davon bereits Kenntnis gehabt hätten (lacht)! Der Grund ist: Die Erfahrung, die wir mit der Bührle-Sammlung gemacht haben und machen, ist Teil unserer Geschichte. Das müssen wir aushalten und trägt für mich zur Bewusstseinsbildung bei. Ich möchte die ganze Debatte, so schwierig und anstrengend sie manchmal auch ist, nicht missen. So laufen soziale Veränderungen, so läuft gesellschaftliche Entwicklung.

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