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Das Coronavirus und der berüchtigte kantonale Flickenteppich

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In der medialen Berichterstattung ist das Coronavirus seit Wochen das alles beherrschende Thema. Auf allen Kanälen, in allen Rubriken der Zeitungen und Zeitschriften, ganz zu schweigen von den sogenannten Social Media, wird über das Virus berichtet. Das bedeutet in erster Linie – neben der Darstellung über die Entwicklung der tatsächlichen Lage – Auseinandersetzung mit dem Verhalten und den Massnahmen der Bundes-, Kantons- und Gemeindebehörden nach den Regeln des Epidemiengesetzes (EpG): Analysen, Debatten, politisch motivierte Einschätzung der Fakten, Expertenmeinungen, Erörterung von Zukunfts­szenarien und -prognosen und (natürlich) kritische Begleitung und Würdigung staatlichen Tuns oder Nichttuns. Im besten Falle wurde so eine kritische Öffentlichkeit hergestellt gegenüber einer so entstandenen Machtkumulierung in den Händen der Bundesexekutive.

 

Die relevanten Medien (SRG, NZZ-Gruppe, Ringier-Gruppe, Tamedia-Gruppe und CH-Medien) unterstützen grossmehrheitlich den Bundesrat in seiner neuen Rolle als Krisenmanager. Wenn kritische Fragen auftauchten, hiess es jeweils, es sei jetzt nicht der Moment für eine Manöverkritik, das könne später nachgeholt werden. Verbunden mit einem leisen moralischen Tadel an der fehlenden Solidarität des Fragestellers, war damit der momentanen Kritik selbst in Fällen der Boden entzogen, wo das Vorgehen der Behörden mindestens erklärungsbedürftig erschien.

Eine Ausnahme von diesem Grundmuster bildet der kantonale Flickenteppich, häufig herablassend auch als Kantönligeist oder kantonales Chaos bezeichnet. Hier lässt sich ohne grosses Risiko auf die Verantwortlichen eindreschen, selbst wenn dies auf Kosten der Faktentreue gehen sollte. Angefangen hat es mit den kantonalen Massnahmen während des Regimes der «besonderen Lage» nach EpG, als einzelne Kantone (in völliger Harmonie mit geltendem Recht) mit ihren Massnahmen weiter gingen als der Bundesrat und Versammlungen bereits ab 200 Personen untersagten. Weiter am Flickenteppich gestrickt wurde, als Uri beabsichtigte, bei seinen Massnahmen für die Risikogruppe der Ü65 weiter zu gehen als der Bund, als das Tessin sämtliche nicht systemrelevanten wirtschaftlichen Tätigkeiten vollständig verbieten wollte und die Westschweizer Kantone Waadt und Genf ein Baustellenverbot beantragten. Wer derartige Massnahmen erlassen wollte oder sogar nur darüber nachdachte, dem drohte als Höchststrafe mediale Verachtung, gepaart mit dem Vorwurf der Inkompetenz und des Hinterwäldlertums.

Bei näherer Betrachtung stehen diese Qualifikationen kantonalen Handelns auf wackliger Grundlage. Das beginnt schon bei der Gegenüberstellung von Einheitlichkeit und Flickenteppich. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Evidenz, die systematisch für die Einheitlichkeit sprechen würde, vielmehr kommt es auf das Regelungsgebiet an. Zum Beispiel sind einheitliche Normen im Strassenverkehr unabdingbar, während Universitäten ihre Aufgaben in Forschung und Lehre möglichst autonom erfüllen können sollten. Wäre es anders, müssten zentralistisch organisierte Staaten erfolgreicher sein mit ihren Massnahmen, was niemand im Ernst behaupten wird.

Selbst in «ausserordentlichen Lagen» gemäss EpG gilt es sorgfältig abzuwägen, wie weit unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich weiterhin geltenden Verhältnismässigkeit die Eingriffe in das Gewaltenteilungsgefüge gehen müssen. Es kommt also nicht einfach darauf an, ob man mit einheitlichen Lösungen «besser durchregieren kann», sondern ob diese geeignet und notwendig sind, das angestrebte Ziel des Gesundheitsschutzes zu erreichen. Wäre es anders, könnten wir uns von autoritär geführten Staaten kaum mehr abgrenzen.

Wenn nun aufgrund der geschilderten vertikalen Zuständigkeitsordnung unterschiedliche Lösungen für gleichartige Probleme resultieren und dann sofort die Keule des Flickenteppichs bemüht wird, ist dies bedauerlich, aus mindestens zwei Gründen: Zum einen suggeriert die Wortwahl, es handle sich um etwas Unstatthaftes, eigentlich sei es doch anders geregelt nach Verfassung und Gesetz. Zum anderen ist darin die implizite Forderung enthalten, doch bitte dem Treiben ein Ende zu setzen und Recht und Ordnung wiederherzustellen.

Dabei sind die Verhältnisse gerade umgekehrt. Wenn differenzierte Lösungen nach Verfassung und Gesetz zulässig und gewollt sind, dann bewegen sich die Kritikerinnen und Kritiker auf dünnem Eis. Selbstverständlich können die Spielregeln in einem demokratischen Rechtsstaat jederzeit geändert werden, aber nicht während des Spiels. Selbst wenn die Anliegen von Kritisierenden sachlich vollständig berechtigt sein sollten, müssen die Regeln nach dem dafür vorgesehenen Verfahren angepasst werden. Weil aber das Organisieren von Mehrheiten für einen neuen Vorschlag eher mühsam ist, versucht man es auf direktem Weg durch das Lächerlichmachen der geltenden Spielregeln.

Schaut man die von den Bundes- und Kantonsbehörden im Rahmen der Corona-Krise bisher ergriffenen Massnahmen genauer an, lässt sich feststellen, dass beide Staatsebenen versucht haben, das für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich Optimale in einer sich ständig ändernden Situation zu finden und danach zu handeln. Dabei ist der eine oder andere Fehler passiert, die eine oder andere Einschätzung hat sich als unrichtig erwiesen. Es braucht aber schon eine gewisse Unverfrorenheit, um geltende, demokratisch entstandene oder neu getroffene Regelungen als Flickenteppich schlechtzureden. Ein Blick ins nahe oder ferne Ausland bestätigt den Befund: Es gibt kein staatliches Ordnungssystem, das per se und von vorneherein besser mit solchen Krisen umgehen kann. Es sei denn, man blicke neidisch auf gewisse autoritäre regierte Staaten mit ihren unbegrenzten Eingriffsmöglichkeiten.

Peter Hänni ist 69-jährig und wohnt in Murten. Nach Studien in Freiburg, Yale und Paris war er von 1992 bis 2017 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg. Im hiesigen Institut für Föderalismus amtete Hänni vorerst als stellvertretender Direktor, bevor er von 2008 bis zu seiner Pensionierung als Direktor die Institutsleitung innehatte.

 

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