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Ist die Demokratie in der EU in Gefahr?

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Nach dem enormen Zugewinn der Parteien am äussersten rechten Rand bei den Europawahlen vom letzten Sonntag argwöhnen viele, dass die Demokratie in der Europäischen Union in Gefahr ist. Die rechtspopulistischen Fraktionen EKR (Europäische Konservative und Reformer) und ID (Identität und Demokratie) erreichen 73 (plus 4) beziehungsweise 58 (plus 9) von den insgesamt 720 Sitzen. Die 15 Abgeordneten der deutschen AfD (plus 6) sind fraktionslos, da sie auf Drängen von Marine Le Pen aus der Fraktion ID ausgeschlossen wurden. Zusammen kommen die rechten Parteien auf rund 130 Mandate in Strassburg. Sie sind damit so stark wie die europäischen Sozialdemokraten.

Sind die Parteien der extremen Rechten damit in der Lage, die EU samt ihren demokratischen Institutionen von innen her auszuhöhlen oder gar auszuschalten? Für viele ist es das Szenario der Zwanzigerjahre, als eine parlamentarische Demokratie nach der anderen autoritär, faschistisch und in Deutschland nationalsozialistisch umgebaut wurde, bis nur noch eine Handvoll Demokratien übrigblieb. Ist die EU heute in der gleichen Gefahr wie das liberale Italien 1922 oder die Weimarer Republik 1933?

So verführerisch diese Analogie auch ist, dem Historiker springen dennoch die Unterschiede ins Auge. Die rechtsradikalen Parteien der Zwanzigerjahre hatten der Staatsform Demokratie ganz offen den Kampf angesagt und warben für das Ende der Demokratie. Den Weg über Wahlen gingen sie nur, um nach einem Sieg die Demokratie abzuschaffen, was Hitler nach dem 30. Januar 1933 auch sofort tat. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 war die Weimarer Republik am Ende. Aber auch Mussolini und die anderen autoritären Politiker hetzten offen gegen Parlamentarismus und Demokratie als eine westliche Erfindung, die nicht der eigenen Gesellschaft entsprach.

Die heutigen rechtsextremen Parteien dagegen treten mit ihrer Elitenkritik als Verteidiger der Demokratie auf. Sie geben vor, der schweigenden Mehrheit, den Marginalisierten, Arbeitern und Geringverdienern eine Stimme zu geben. Und damit haben sowohl die deutsche AfD als auch das französische Rassemblement National von Marine Le Pen erstaunlich viel Erfolg. Die AfD ist besonders stark bei Arbeitern und bei Wählern mit niedrigem Bildungsabschluss. Damit wird die Demokratie auf der europäischen Ebene nicht durch ihre Feinde abgeschafft wie in den Zwanzigerjahren, sondern steht in der Gefahr, von innen zu erodieren.

Der Grund dafür liegt in einer Verschiebung der politischen Optik. Die rechtsextremen Parteien setzen nicht mehr auf das klassische verteilungspolitische Sozialstaatsparadigma der gemässigten Linken aus der Zeit nach 1945, sondern auf Fragen von Identität, Kultur und Anerkennung. Die sozialstaatlichen Konflikte um Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Invalidenversicherung oder Vermögen in Arbeitnehmerhand waren teilbare Konflikte, bei denen man Entgegenkommen zeigen und Kompromisse finden konnte. Diese Verteilungsfragen sind ersetzt worden durch Identitätsfragen, bei denen es darum geht, welche kulturelle Identität der umworbene Wähler besitzt. Kulturell identitäre Konflikte aber sind unteilbare Konflikte und implizieren ein Ja oder Nein, nicht aber einen Kompromiss.

Identitätsfragen sind für die deutsche AfD und die ungarische Fidesz-Partei, für die spanische Partei Vox, Geert Wilders in den Niederlanden und Marine Le Pen in Frankreich letztlich wichtiger als kosmopolitische Rechte, liberales Recht und die Verfassung. Demokratie ist für sie auch ohne liberale Institutionen denkbar. So entstand in Ungarn der Begriff der «illiberalen Demokratie» von Viktor Orbán und in Russland der «gelenkten Demokratie». Die Parteien der äussersten Rechten sind bestrebt, die Demokratie von ihren liberalen Grundlagen zu trennen. Sie setzen auf den Vormarsch der Identitätsfragen auf Kosten der Verteilungsfragen.

Wird diese Strategie erfolgreich sein? Auf der europäischen Ebene spricht vieles dagegen. Die Politik der Europäischen Union beruht nicht auf parlamentarischen Mehrheiten. Vielmehr sind daneben eine Vielzahl von anderen Institutionen eingebunden: die Europäische Kommission in Brüssel, die Regierungschefs und die nationalen Regierungen inklusive der Ressortminister. Die Vielfalt der Mitspracherechte bei der europäischen Gesetzgebung sieht mehr Möglichkeiten der Einflussnahme als die parlamentarische Entscheidung vor. Daher sind die Veto-Androhungen von Viktor Orban ein wichtigeres Einflussmittel als die parlamentarische Vertretung der Rechtsparteien in Strassburg.

Wer daher die europäische Demokratie nach den Wahlerfolgen der Rechtsparteien in Gefahr sieht, denkt in den Kategorien der Mehrheitsdemokratie. Faktisch hat sich aber – auch in der Schweiz mit ihrer Prämie auf Konsens und Konkordanz – die Demokratie als ein permanentes Verhandeln durchgesetzt. Demokratische Systeme sind heute hoch verflochtene Netzwerke von Einflussnahmen aus verschiedenen Richtungen. Hier freilich liegt das fundamentale Dilemma, das die rechten Parteien ausnutzen. Wenn viele Teilnehmer verhandeln, werden sie zwar wie in Brüssel bis tief in die Nacht von Kameras beobachtet. Dennoch ist das Ergebnis selten transparent und verständlich, was Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten ist, die dagegen mit den «Rechten des Volkes» argumentieren.

Siegfried Weichlein ist ordentlicher Professor für Europäische und Schweizerische Zeitgeschichte an der Universität Freiburg.

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