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Irene Schweizer, die First Lady des europäischen Jazz, ist im Alter von 83 Jahren verstorben

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Sie war Ikone, Aktivistin und hat entscheidend zur Emanzipation der Frauen im europäischen Jazz beigetragen. Die Würdigung einer grossen, bescheidenen Künstlerin.

Eine Frau als Siegerin war offensichtlich nicht vorgesehen. Als Irene Schweizer 1960, im Alter von 19 Jahren, den 1. Preis am Jazzfestival Zürich gewann, war der Siegerpreis eine Schachtel Zigaretten, ein Päckchen Kaugummi und ein Herrenhemd. Das «Fräulein» Schweizer war eine Sensation im damaligen Jazz.

Irene Schweizer war nicht die erste Schweizer Frau, die sich professionell im Jazz bewegte. Diese Pionierleistung blieb Anfang der 1950er-Jahre der Pianistin und Sängerin Elsie Bianchi vorbehalten. Doch als die blutjunge Irene Mitte der 50er-Jahre in der Dixieland-Band Crazy Stokers Klavier spielte, war sie im männerdominierten Jazz immer noch ein Unikum.

Irene Schweizer ist am 2. Juni 1941 in der Gastwirtfamile Schweizer in Schaffhausen geboren. Der Vater starb früh, die Mutter war im Restaurant Landhaus überbeschäftigt und hatte für die Kinder keine Zeit. Ein Familienleben gab es nicht. So hat Irene schon früh eine eigene Welt aufgebaut. Zum Glück stand im Säli des Restaurants ein Klavier, das in ihrer Welt eine wichtige Rolle einnehmen sollte. Sie hatte Klavierunterricht, aber Jazz, Boogie-Woogie und Ragtime brachte sie sich autodidaktisch bei. Platten hören und «learning by doing».

Der Einfluss von Dollar Brand und Cecil Taylor

Noch in den frühen 1960er-Jahren dominierte bei ihr der amerikanische Einfluss. Hard-Bop war angesagt und Irene Schweizer orientierte sie daran. Erst im Trio mit Uli Trepte (Bass) und Mani Neumeier (Schlagzeug) entwickelte sie eine eigenständige Spielweise mit einem persönlichen Vokabular. Prägend waren der südafrikanische Pianist Dollar Brand (Abdullah Ibrahim), der in den frühen 60er-Jahren im Exil in Zürich lebte und oft im «Africana» spielte, sowie der Avantgardist Cecil Taylor.

Cecil Taylor war ein Schock. Sie war von seinem Konzert 1966 in Stuttgart so beeindruckt, von seinen avantgardistischen Attacken und seiner Intensität, dass sie in eine Krise geriet. Ein halbes Jahr konnte sie nicht spielen, nahm dann aber dessen Cluster- und Power-Attacken in ihr Repertoire auf. Ihr Spiel wurde freier und radikaler, vorgegebene Tempi und Funktionsharmonik wurden aufgelöst. Irene Schweizer wurde eine der führenden Avantgardistinnen in Europa.

Das Spiel im Inneren des Flügels

Zu ihrem Vokabular gehörte auch das Spiel im Innern des Flügels. Sie dämpfte die Saiten mit der Hand, zupfte sie mit den Fingerspitzen und verwandelte den Flügel in ein Schlagzeug, das ganze Instrument wurde zum Klangwerk. Das Rhythmische war der Schaffhauserin immer wichtig, weshalb sie immer auch ans Schlagzeug wechselte. Schlagzeuger wie Pierre Favre, Louis Moholo, Günter Baby Sommer oder Han Bennink gehörten zu ihren bevorzugten Duo-Partnern.

Irene Schweizer war lange nicht politisch interessiert. Ihre Politisierung setzte erst mit der 68er-Bewegung ein. Sie wurde ein Teil der radikalen deutschen Free-Jazz-Bewegung, traktierte das Klavier mit Ellbogen und Handballen. Die aggressive, wilde Spielweise war Ausdruck einer damaligen, revolutionären Haltung. «Ich fand es gut und wichtig. Es hat in die Zeit gepasst, die Zeit der Revolution. Es hat aber nicht wirklich Spass gemacht. Für mich war es eher wahnsinnig anstrengend», sagte sie einmal rückblickend über diese Kaputtspielphase.

Vorbild von Generationen von Musikerinnen

Wichtiger und nachhaltiger war ihr Engagement für die Frauenbewegung und die Rechte von Lesben. Sie habe als Frau im Jazz eigentlich nie grosse Probleme gehabt. Sie war akzeptiert und gehörte wie selbstverständlich dazu. Doch Jazz war auch in den bewegten 70er-Jahren noch eine Männerbastion und Irene Schweizer eine Ausnahmeerscheinung. Sie engagierte sich in der «Feminist Improvising Group» (FIG) und spielte öfter mit gleichgesinnten Musikerinnen wie Maggie Nichols, Lindsay Cooper oder Joëlle Léandre. Humor floss in die sonst doch sehr ernst gehaltene Musik ein.

Irene Schweizer war die bedeutendste Jazzmusikerin Europas. Radikale Feministinnen warfen ihr aber auch Verrat an der Sache der Frau vor, weil sie nach wie vor mit Männern spielte. Doch sie liess sich nicht beirren und war der Überzeugung, dass es eine eigentliche Frauenmusik nicht gäbe und sie nicht anders spiele als ihre männlichen Kollegen, nur weil sie weiblichen Geschlechts sei. Vielmehr hat Irene Schweizer bewiesen, dass man sich auch als Frau in einem männerdominierten Umfeld durchsetzen kann, wenn die Qualität stimmt. Insofern war sie Vorreiterin und ein Vorbild für Generationen von Musikerinnen.

Mit den Jahren wurde sie immer besser

Über die Jahre blieb Irene Schweizer ihrem Personalstil treu, doch die Akzente setzte sie im Lauf der Zeit weg vom Eruptiven und Anarchischen zu einem Spiel mit unzähligen motivischen Bezügen. Sie wurde immer besser darin, Spannungsbögen aufzubauen und eine geschlossene Form zu entwickeln. Das wurde vor allem in ihren Solokonzerten deutlich, die sie ab 1976 intensivierte und damit immer erfolgreicher wurde. Die südafrikanischen Inspirationen blieben bis zuletzt stark hörbar. Am schönsten und eindrücklichsten im Duo «Where’s Africa» mit dem Saxofonisten Omri Ziegele. Irene Schweizer entwickelte auch in der musikalischen Interaktion eine unglaubliche Meisterschaft. Vor allem Duos, zum Beispiel mit Rüdiger Carl oder Co Streiff (beide Sax), bildeten den besten Rahmen für spannende Dialoge.

Lange musste Irene Schweizer für künstlerische Freiheit kämpfen. Wurde auch ausgebuht und bewegte sich in der Nische der freien Musik am Rande des Existenzminimums. Doch sie setzte sich durch. Plötzlich wurde sie breit gefeiert, wurde in die Tempel der Hochkultur eingeladen. Zuerst 2006 ins KKL Luzern, dann zu ihrem 70. Geburtstag in die Tonhalle Zürich. Schliesslich, 2018, wurde sie mit dem Grand Prix Musik, dem höchstdotierten Kulturpreis der Schweiz, ausgezeichnet.

Irene Schweizer war schon länger krank. Vor drei Jahren entschied sie, dass sie nicht mehr auftreten würde. Am 16. Juli ist die grosse und bescheidene Musikerin im Alter von 83 Jahren gestorben.

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