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Im Kampf gegen Armut in der Schweiz: Armutserfahrene teilen ihr Wissen

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In einem Seminar der Organisation ATD Vierte Welt trafen sich Armutserfahrene. Ziel war es, das in einem Forschungsprojekt erarbeitete Wissen über Armut öffentlich präsentieren zu lernen.

Armut in der reichen Schweiz? Viele sind sich der Realität von Armut hierzulande nicht bewusst und begegnen ihr mit Unverständnis. Die gemeinnützige Organisation ATD Vierte Welt (All Together for Dignity – Gemeinsam für die Würde aller) setzt auf Sichtbarmachung und Wissensvermittlung von Betroffenen, um Armut zu überwinden (siehe Kasten).

Vom 17. bis zum 20. Juli trafen sich rund 20 armutserfahrene Aktivisten und Aktivistinnen von ATD zu einem Sommerseminar. Das Hauptaugenmerk lag darauf, zu lernen, öffentlich über Armut zu sprechen. Die Teilnehmenden konnten sich austauschen und ihr Wissen, das sie als Armutsbetroffene gesammelt haben, weitervermitteln.

Das Seminar fand im Anschluss an das Projekt «Armut – Identität – Gesellschaft» statt, bei dem erarbeitet wurde, was es heisst, heute in der Schweiz in Armut zu leben. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen nun auch als Werkzeug genutzt werden, um gegen Armut vorzugehen. Die Schulung fand in Treyvaux im schweizerischen Zentrum von ATD Vierte Welt statt.

Lernen und Wissen teilen

In einem grossen Dachgeschoss sitzen die ATD-Aktivisten und Aktivistinnen im Kreis und folgen der Aufgabe eines Theaterpädagogen. Zu zweit sollen die Teilnehmenden in einem Rollenspiel üben, wie man auf unangenehme Fragen reagieren und auch mal Nein sagen kann.

Unangenehme Fragen gibt es im Alltag einer armutsbetroffenen Person viele, beispielsweise auf dem Sozialamt. «Sie löchern uns mit so vielen Fragen, wir müssen uns komplett nackt machen. Und danach haben sie noch mehr Fragen», erzählt Rosalia* (echter Name der Redaktion bekannt), die sich als Aktivistin für ATD engagiert. Die betagte Frau wurde als Kind in ein Heim eingewiesen und verdingt. Sie war von sogenannten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen. Ihr fällt die Übung im Seminar nicht einfach, wie sie erklärt: «Als Kind durfte ich nie Nein sagen.» 

Auch Christian Vukasovic, armutsbetroffener ATD-Aktivist, nahm am Seminar teil. Er hat beim Projekt «Armut – Identität – Gesellschaft» mitgewirkt und an den Präsentationen des Schlussberichts schon Erfahrung gesammelt, wie man öffentlich über Armut sprechen kann. Im Seminar möchte er andere an seinem Wissen teilhaben lassen: «Ich bin hier, um Werkzeuge weiterzugeben, um mich zu vernetzen und von neuen Projekten zu erfahren.»

«Als Kind durfte ich nie Nein sagen.»

Rosalia, Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen
Christian Vukasovic möchte mit anderen Seminarteilnehmenden seine Erfahrungen teilen.
Bild: Charly Rappo/ La Liberté

Forschungsprojekt «Armut – Identität – Gesellschaft»

Das Sommerseminar wurde aus Anlass des Projekts «Armut – Identität – Gesellschaft» (AIG), das von 2019 bis 2023 stattfand, durchgeführt. Im Rahmen der sogenannten Valorisierung, das heisst der Nutzung von Projektergebnissen, trägt das Seminar dazu bei, dass es nicht beim Schlussbericht des Projekts bleibt, sondern dass die Erkenntnisse weitergetragen werden. Bei den Betroffenen sei eine gewisse Angst dagewesen, dass es nun, wo der Bericht fertig ist, nicht mehr weitergehe. «Viele sagten uns: Das ist unser Leben, es muss sich etwas verändern», erzählt Marie-Rose Blunschi, die in einem Langzeitvolontariat für ATD Vierte Welt tätig ist.

Im Zentrum des Projektes AIG stand der Austausch zwischen drei Personengruppen: Menschen mit Armutserfahrung, Personen der Wissenschaft (etwa Psychologen und Soziologinnen) und Personen aus der Berufspraxis (etwa Richterinnen und Sozialarbeiter). Mit der Methode des Wissen-Kreuzens tauschten sich die Gruppen untereinander aus. Dies führe gemäss Schlussbericht zu einem inklusiven Wissen, das für soziale Veränderung unabdingbar sei. «Armut ist auch ein Wissen», erzählt Blunschi, deshalb würden sie auch von «armutserfahrenen» Menschen sprechen. Vukasovic erzählt, dass er im Projekt Anerkennung als Experte bekommen habe. «Ich habe dafür gekämpft, dass wir eine Stimme haben.»

Er stellt fest, dass es in Bezug auf Armut in der Gesellschaft, der Politik und den Medien eine starke Ignoranz gäbe. Das Projekt sei ein Anfang, ihnen das Thema näherzubringen. «Aber sie müssen bereit dazu sein, Armut verstehen zu wollen.»

«Armut ist auch ein Wissen.»

Marie-Rose Blunschi arbeitet in einem Lanzeitvolontariat für ATD.

Ein strukturelles Problem

Rund die Hälfte der Armutserfahrenen, die am Projekt mitgewirkt haben, und viele Seminarteilnehmende sind Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnamen in erster oder nachfolgender Generation. Bis 1981 wurden unzählige Kinder und Erwachsene fremdplatziert, administrativ versorgt, verdingt oder zu einer Abtreibung gezwungen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga bat 2013 die Opfer offiziell um Entschuldigung, wie der Webseite des Bundesamtes für Justiz zu entnehmen ist. Es folgte ein Bundesgesetz zur Aufarbeitung, das Solidaritätsbeiträge, Fördermassnahmen und die wissenschaftliche Aufarbeitung vorsieht. Das Projekt AIG und das Sommerseminar wurden vom Bundesamt für Justiz finanziell unterstützt.

«Eigentlich gibt es keine Entschuldigung dafür», sagt Rosalia. «Man kann nicht alles rückgängig machen.» Armut werde oft als selbstverschuldet angesehen, steht im Schlussbericht von AIG. Aber wenn man – wie Rosalia – in eine Situation der Armut hineingeboren werde, sei es aufgrund zahlreicher Benachteiligungen schwierig, selbst mit gutem Willen und Ressourcen wieder herauszukommen. «Im Heim hatten wir nichts. Ich konnte nicht lernen, was ich wollte», erzählt Rosalia. Später arbeitete sie lange als Reinigungskraft für mehrere Familien.

Auch Rosalias Tochter ist heute von Armut betroffen. Generationenübergreifende Armut zu durchbrechen, sei nicht einfach. Rosalias Wunsch ist es, dass die Organisation ATD Vierte Welt mit ihrem Kampf gegen Armut Erfolg hat. «Meine Hoffnung ist es, dass alle ein besseres Leben bekommen. Für meine Tochter, für alle. Meines kann ich nicht mehr ändern.»

Wie weiter?

Dass es auch in der reichen Schweiz Armutserfahrungen gibt, wollen viele nicht wahrhaben, wie im Schlussbericht des Projekts AIG steht. «Es hiess immer, man müsse es belegen. Jetzt ist es belegt. Nicht nur von Fachleuten, sondern auch von uns. Jetzt ist der Ball bei den anderen», sagt Christian Vukasovic.

Der Schlussbericht des Projekts AIG sei ihr Werkzeug für mehr Gerechtigkeit. Am Seminar würden weitere Armutsbetroffene zu Wissensvermittlern des Projektes werden, sagt Annelies Oeschger, Leiterin der Valorisierung. Vukasovic ist überzeugt: «Wenn Armut wahrhaftig verstanden ist, kommt das, was wir brauchen.» Armut anzuerkennen, Handlungsmacht zu stärken und Wandel gemeinsam zu gestalten, gehört zur Basis der Veränderungsansätze, die im Schlussbericht aufgeführt sind.

Am 17. Oktober, dem Welttag für die Beseitigung der Armut, wird eine Delegation des Seminars das Projekt an einer Sitzung der Vereinten Nationen in New York präsentieren. Vukasovic hofft, dass dort weitere Personen von der Methode des Wissen-Kreuzens erfahren. Es sei auch Pionierarbeit gewesen.

«Wenn Armut wahrhaftig verstanden ist, kommt das, was wir brauchen.»

Christian Vukasovic, armutserfahrener Aktivist für ATD

ATD Vierte Welt

ATD Vierte Welt (All Together for Dignity – Gemeinsam für die Würde aller) ist eine internationale Bewegung, die sich gemeinsam mit Betroffenen für die Überwindung von Armut einsetzt. Die Nichtregierungsorganisation ist seit 1967 in der Schweiz, gegründet wurde sie zehn Jahre davor in Frankreich. Die Organisation hat Standorte in Basel, Genf und Freiburg. In Treyvaux befindet sich das schweizerische Zentrum von ATD.

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