Die BLS spricht von einer nachhaltigen S-Bahn-Werkstätte, welche «die Ansprüche von Gesellschaft, Umwelt und S-Bahn Bern am besten verbindet», die Fondation Franz Weber schreibt von einem «geplanten Verbrechen an einer intakten Naturlandschaft». Die neue Werkstätte, welche die BLS im Chliforst Nord bauen will, wird unterschiedlich wahrgenommen. Schon als vor einigen Jahren bekannt wurde, dass die BLS eine neue Werkstätte im Westen von Bern bauen will, regte sich Widerstand gegen das geplante Vorhaben. In den letzten Monaten ist die Opposition jedoch noch gewachsen: Die Fondation Franz Weber setzt sich mit einer Plakatkampagne gegen den Bau des geplanten «Grossklotz im Chliforst» ein. Die Stiftung wolle sich auf politischem Weg oder mit juristischen Mitteln wehren. «Nötigenfalls bis vor Bundesgericht.»
Kritik von mehreren Seiten
Bereits 2014 wurde klar, dass die BLS eine neue Werkstätte im Westen von Bern bauen will, weil die alte Werkstätte beim Bahnhof Bern (Aebimatte) Ende 2019 aufgrund des Ausbaus des Hauptbahnhofs Bern schliessen musste. Die BLS setzt künftig auf drei Standorte: Spiez, Bönigen und eben Chliforst Nord. Insbesondere der Standort im Westen von Bern sorgt für Zündstoff. Zentraler Kritikpunkt ist der Verlust von Natur. So würden bei dem Bau über 150 000 Quadratmeter Wald- und Wiesenland verloren gehen, wie die Fondation Franz Weber schreibt. Deren Präsidentin, Vera Weber, schreibt auf Anfrage: «Der Bau wäre eine starke Beeinträchtigung des ‹Grünen Bandes›, das für die gesamte Raumentwicklung der Agglomeration Bern wichtig ist. Das Vorhaben würde bedeutenden Grün- und Freiraum beziehungsweise Naherholungsgebiete massiv stören.»
Standortgebundenheit fehlt
Neben Naturschutzverbänden wehren sich auch Anwohnerinnen und Anwohner, die betroffenen Gemeinden sowie die Regionalkonferenz Bern-Mittelland (RKBM) gegen die geplante Bahnwerkstätte. Letztere schreibt auf Anfrage, dass sie den Standort vor allem aus raumplanerischer Sicht ablehnt: «Die Standortevaluation berücksichtigt den Paradigmenwechsel in der Raumplanung hin zur Siedlungsentwicklung nach innen in keiner Art und Weise.» Der Standort stehe im Widerspruch zum neuen kantonalen Baugesetz, das auf den Schutz von Kulturland ausgerichtet sei. Vor allem der Nachweis der Standortgebundenheit fehle, wie neben der RKBM auch die Gemeinde Bern festhält. Es fehle der «stichhaltige Beleg, dass der Neubau einer Werkstätte nicht auch ohne solch erhebliche Auswirkungen auf Raum und Umwelt – die Beanspruchung von Kulturland und Waldfläche – möglich ist», so der Präsident der Geschäftsleitung der RKBM, Thomas Hanke. Die BLS, Bund und Kanton hätten alternative Lösungen, wie die Mitbenutzung von Werkstätten anderer Bahngesellschaften – wie die SBB – nicht ausreichend untersucht. Die RKBM moniert weiter, dass die Interessen der Raumplanung und der Landwirtschaft zu wenig berücksichtigt worden seien und die Interessensabwägung zu einseitig auf verkehrstechnischer und betrieblicher Sicht erfolgt sei.
Gutachten zeigt Fehler auf
Dass die Realisierung einer S-Bahn-Werkstätte aus betrieblicher Sicht Sinn macht, bestreiten die Gegner des Projekts nicht. Laut BLS ist eine neue Werkstätte im Raum Bern dringend notwendig, weil 72 Prozent ihrer Züge auf ihrer Fahrt den Bahnhof Bern kreuzen. «Mit einem Neubau im Chliforst Nord garantieren wir kurze Anfahrtszeiten zur Werkstätte.» Somit seien stets genügend einsatzbereite Züge vorhanden.
Die RKBM kritisiert jedoch auch das «forsche Vorgehen von BLS, Bund und Kanton», das bei Gemeinden, Anwohnerinnen und Anwohnern und Gemeinden auf Widerstand stösst. Die RKBM sei trotz ihrer Aufforderung an Bund und Kanton, Alternativen zu prüfen, nie angehört worden: «Es hat keine Konfliktbereinigung stattgefunden.» Ein juristisches Gutachten, das die Regionalkonferenz hat erstellen lassen, stützt nun deren Position: Es zeigt mehrere Verfahrensfehler auf. So hätten der Bund und der Kanton die RKBM als öffentlich-rechtliche Körperschaft im Mitwirkungsverfahren einbeziehen müssen. Das Gutachten übt auch Kritik am Bundesamt für Verkehr. Dieses habe zu wenig Distanz gegenüber den Wünschen und Vorstellungen der Berner Behörden gezeigt und dem Umstand zu wenig Beachtung geschenkt, dass der Kanton Bern in einem Interessenskonflikt stehe. Denn der Kanton sei in diesem Vorhaben «nicht nur neutraler Träger der Richtplanung, sondern auch wesentlicher Eigentümer der BLS AG».
Kanton wehrt sich
Dass ein Projekt einer solch grossen Dimension auf Widerstand stossen würde, sei nicht überraschend, schreibt der Kanton Bern. Er wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, den Dialog mit den Gegnern nicht gesucht zu haben. «Der Dialog wurde auf verschiedenen Ebenen geführt. Es fanden runde Tische und Aussprachen statt.» Zudem habe sich die unabhängige Begleitgruppe «Werkstätte BLS» für den Standort Chliforst Nord ausgesprochen. Diese Gruppe bestehe aus 40 Mitgliedern, welche die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner, der Politik, der Wirtschaft, der Naturschutzverbände, der Landwirtschaft, der Raumplanung und des öffentlichen Verkehrs repräsentieren würden.
Massnahmen für die Umwelt
Dass der Neubau einer Werkstätte ein grosser Eingriff in die Natur darstelle, sei unbestritten, schreibt der Kanton. Die Auswirkungen seien jedoch bei allen geprüften Standorten hoch. Die BLS ihrerseits versichert, dass sie die Anliegen der Anwohnerinnen und Anwohner und der Umwelt-Fachleute ernst nehme. «Zusammen mit Fachexperten setzen wir in Chliforst Massnahmen für die Umwelt um: Wir forsten Waldränder auf, renaturieren Bäche und legen Feuchtwiesen als Lebensraum für Tiere an.» Aus diesem Grund hat die BLS im Frühling damit begonnen, Bodenproben zu entnehmen, um herauszufinden, wie sich dies am besten umsetzen lässt.
Diese Massnahmen gehen für Naturschutzverbände und Gemeinden zu wenig weit. Die Gemeinde Bern schreibt, dass sie auch im weiteren Verfahren ihre Interessen sowie die Interessen der Anwohnerschaft bestmöglich zu wahren versucht und eine Einsprache im Plangenehmigungsverfahren prüfen wird. Auch die RKBM und verschiedene Naturschutzverbände werden diesen Weg wohl gehen und Einsprachen einlegen.
Chronologie
Einsprachen sind möglich
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat den Standort Chliforst Nord im Dezember 2018 in den Sachplan Verkehr aufgenommen. Daraufhin hat der Kanton Bern ihn als Fortschreibung auch in den kantonalen Richtplan mit hineingenommen. Davor habe die Begleitgruppe «Werkstätte BLS» eine umfassende und sorgfältige Evaluation von über 40 Standorten abgehalten, wie die Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern auf Anfrage schreibt. Diese habe klar gezeigt, dass die beiden Standorte Chliforst Nord und Niederbottigen den Anforderungen am besten entsprechen würden. Die BLS hat schliesslich die Empfehlungen der Begleitgruppe übernommen und das Bundesamt für Verkehr (BAV) im Dezember 2016 ersucht, das Vorhaben einer neuen Werkstätte im Chliforst Nord für den Sachplan Verkehr zu prüfen.
Als Nächstes wird die BLS Ende dieses Jahres ein Plangenehmigungsgesuch beim Bundesamt für Verkehr einreichen, das dem Baugesuch im eisenbahnrechtlichen Verfahren entspricht. In diesem Verfahren besteht die Möglichkeit, Einsprachen zu ergeben. Die konkrete Beurteilung des Projekts erfolgt in diesem Verfahren, wie das Bundesamt für Verkehr bestätigt.
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